Liebe Deine(n) Nächste(n), wenn's nicht zu viele Umstände macht

Berufstätigkeit mit Behinderung ist ein ganz heißes Thema. Viele Unternehmen haben gegenüber behinderten Menschen so große Vorbehalte, dass sie lieber die Ausgleichsabgabe zahlen, als Mitarbeiter einzustellen, von denen sie glauben, dass sie wegen ihrer Einschränkungen ständig krank und obendrein noch unkündbar sind. Solche Vorurteile, die mit der Realität nichts zu tun haben, halten sich hartnäckig.

Das war auch dem Gesetzgeber bewusst, als er die öffentlichen Arbeitgeber - also den Bund, die Bundesländer, die Gemeinden sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts - dazu verpflichtete, frei werdende Stellen, die intern nicht besetzt werden können, frühzeitig den Agenturen für Arbeit zu melden. Bewirbt sich eine schwerbehinderte Person dann auf eine solche Ausschreibung, haben öffentliche Arbeitgeber die Pflicht, diese zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Einzige Ausnahme ist das Fehlen der fachlichen Eignung. Das ist so in § 165 SGB IX geregelt. Der öffentliche Dienst hat hier eine Vorbildfunktion.

Heute las ich von einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das ergangen ist, weil sich ein behinderter Bewerber diskriminiert fühlte. Was war passiert?

Ein evangelischer Kirchenkreis, also ein Zusammenschluss von mehreren benachbarten Kirchengemeinden mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, hatte eine Stelle ausgeschrieben. Es bewarb sich ein schwerbehinderter Mann, der die nötige Qualifikation hatte. Der Kirchenkreis lud ihn jedoch nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein. Der Bewerber fühlte sich diskriminiert und verklagte den Kirchenkreis. Er verlangte eine Entschädigung gemäß § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Auf den ersten Blick sieht alles nach einer eindeutigen Rechtslage aus, oder? Der Kirchenkreis hat gegen geltendes Recht verstoßen, indem er den behinderten Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch einlud, sodass der Bewerber nun einen Anspruch auf Entschädigung hat. 

Aber so ist es nicht. Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kirchenkreis recht. Die Begründung ist eine Kombination aus der sog. herrschenden Meinung, wann eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht wie jede andere ihres Typs zu behandeln ist, und einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2000. Das ist alles juristisch ziemlich abstrakt. Für die, die es interessiert, füge ich am Ende dieses Textes eine Erklärung ein.

Kurzum: Der Kirchenkreis hat keine Pflicht, schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, weil er eine Spezialform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist.

Die Kirche, ein Hort der Nächstenliebe

Mich ärgern an dieser Situation zwei Dinge:

  1. Wieder einmal wird der Institution Kirche ein Sonderstatus zugesprochen, der neben den für "alle" geltenden Regeln und Vorgaben ganz eigene nur für sie schafft. Wir kennen das schon aus der Justiz im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen und der Verbindung mit der eigenen Kirchengerichtsbarkeit. 
  2. Ausgerechnet die Kirche, von der man glauben könnte, dass sie mit  gutem Beispiel voran geht, wenn es um christliche Nächstenliebe geht, hält es nicht für nötig, einen Bewerber zum Vorstellungsgespräch zu bitten, der es auf dem Arbeitsmarkt wegen seiner Schwerbehinderung ohnehin schwerer hat als nicht behinderte Kandidaten. Wie Hohn liest sich da der Beitrag der Evangelischen Kirche für Deutschland (EKD) auf ihrer Website, der den Titel "Gründe für die Kirchenmitgliedschaft" trägt. Hier heißt es unter anderem: "In der evangelischen Kirche stehen hierbei die Stärkung von Glauben und Vertrauen und der Sinn für Gemeinschaft, Solidarität und Gerechtigkeit im Vordergrund." 
    Auf derselben Website werden sogar verschiedene Handreichungen der EKD vorgestellt, die sich der Inklusion widmen. 
Das Verhalten des Kirchenkreises bleibt mir unverständlich. Warum hat man diesem Bewerber nicht wenigstens die Gelegenheit gegeben, sich zu präsentieren? Das sollte doch möglich sein, ohne dass es dafür eine rechtliche Verpflichtung gibt.

Darum geht es aus juristischer Sicht

Das Bundesarbeitsgericht bezieht sich in seiner Begründung auf zwei Dinge:

  1. Zitat BAG: "§ 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX knüpft – mangels abweichender Anhaltspunkte – mit den Begriffen „Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts“ an das allgemeine verwaltungsrechtliche Begriffsverständnis an. Danach sind Körperschaften des öffentlichen Rechts durch staatlichen Hoheitsakt geschaffene, rechtsfähige, mitgliedschaftlich verfasste Organisationen des öffentlichen Rechts, die regelmäßig staatliche Aufgaben mit i. d. R. hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnehmen. Dabei setzt die besondere rechtliche Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts einen entsprechenden staatlichen Hoheitsakt, die Verleihung des Körperschaftsstatus', voraus."
    Das bedeutet: Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht dasselbe wie eine staatliche, da Letztere staatliche Aufgaben unter staatlicher Aufsicht durchführt. Wegen dieser Ungleichheit sind kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht verpflichtet, im Falle des Klägers so zu verfahren wie staatliche.
  2. Das BAG bezog sich außerdem auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.2000 (Az. BvR 1500/97). Dort heißt es, dass die korporierten Religionsgemeinschaften keine Staatsaufgaben wahrnehmen, nicht in die Staatsorganisation eingebunden sind und keiner staatlichen Aufsicht unterliegen. Die Schlussfolgerung ist dieselbe: Die Ungleichheit führt bei kirchlichen Körperschaften dazu, Regeln, die für staatliche Körperschaften gelten, nicht einhalten zu müssen.


Foto: Hajo Rebers / pixelio.de

Kommentare

  1. Liebe Ina, gleiches Recht für alle ist eine Utopie. Meine Erfahrungen bisher waren: Wenn man sich nicht anpassen kann, geht man unter. Als introvertierter Mensch fühle ich mich unwohl, wenn ich unter vielen Leuten bin. Dann ziehe ich mich schnell zurück und bleibe außen vor. Wer nicht laut ist, der wird übersehen.
    Ich gehöre übrigens keiner Kirche mehr an. Anstelle von Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft habe ich leider nur gegenteilige Erfahrungen machen können. Die von Dir geschilderte Vorgehensweise überrascht mich nicht.
    Liebe Grüße von Ingrid, der Pfälzerin

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    1. Liebe Ingrid, leider passt der beschriebene Fall genau zu den Erfahrungen, die ich selbst mit der Institution Kirche gemacht habe. Das ist alles lange her, was daran liegt, dass ich aus diesen Erlebnissen meine Konsequenzen gezogen habe und schon vor fast 40 Jahren aus der Kirche ausgetreten bin. Offenbar ist dort nichts besser geworden.
      Liebe Grüße aus Niedersachsen
      Ina

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